Die aktualisierte DIN 33430 garantiert die Qualität im gesamten Recruitingprozess. Der Prozess zur berufsbezogenen Eignungsbeurteilung umfasst mehrere Schritte: die Planung des Prozesses, die Anforderungsanalyse und das daraus entstehende Anforderungsprofil, die Auswahl und Zusammenstellung passender evidenzbasierter Verfahren zur Eignungsdiagnostik, die Durchführung und Auswertung der Verfahren, die Ergebnisinterpretation und Urteilsbildung sowie die kontinuierliche Evaluation des Prozesses inklusive der Ableitung von Verbesserungsmaßnahmen.
Spätestens alle 5 Jahre wird überprüft, ob die von einem Normausschuss aus Fachexperten entwickelte DIN 33430 selbst noch den aktuellen Standards aus Wissenschaft und Technik entspricht und ob sie überarbeitet oder zurückgezogen werden muss. So wird sichergestellt, dass die DIN-Norm stets aktuelle Qualitätsstandards für die berufsbezogene Eignungsbeurteilung kommuniziert, nach denen sich Eignungsdiagnostiker, Beobachter und weitere am Auswahlverfahren beteiligte Personen lizenzieren lassen können.
Die aktualisierte DIN 33430 erfordert zusätzliche Qualifikationen – sowohl von Personen, die sich lizenzieren lassen wollen, als auch von bereits lizenzierten Anwendern.
Grundsätzliche Änderungen der DIN 33430
1. Qualitätsmerkmale der Verfahren: Weniger numerische Kennwerte, mehr empirisches Know-How
Um zu verhindern, dass die Qualität eines Verfahrens lediglich anhand einzelner, numerischer Kennwerte eingeschätzt wird, rückt die aktualisierte DIN 33430 aus dem Jahr 2016 die Qualität der empirischen Untersuchungen zur Einschätzung der Verfahren in den Fokus.
Qualitätsmerkmale von empirischen Untersuchungen sind zum Beispiel:
- die Stichprobengröße
- die Repräsentativität der Studienteilnehmer
- die Aktualität der Studie
- das Studiendesign sowie dessen Angemessenheit.
Verfahrenskennwerte, beispielsweise zur Kriteriumsgültigkeit oder Zuverlässigkeit, werden nun vor diesem Hintergrund bewertet, sodass nicht allein deren numerische Höhe entscheidend ist. Sie als Recruiter müssen daher auch auf Basis Ihres Fachwissens entscheiden, welche empirischen Untersuchungen aussagekräftig und belastbar sind und welche Verfahren sich demnach eignen. Der Grund für diese Änderung in der aktualisierten DIN 33430 ist denkbar simpel: Taugt das Studiendesign der Untersuchungen nichts, ist selbst der beste daraus gewonnene Richtwert nicht verlässlich.
2. Definierte Beteiligte am Prozess der Eignungsbeurteilung
Wurde in der DIN-Fassung von 2002 lediglich zwischen Auftragnehmern und Mitwirkenden unterschieden, so differenziert die überarbeitete DIN 33430 zwischen Dienstleistern, Eignungsdiagnostikern und Beobachtern.
- Dienstleister: sind interne oder externe Personen oder Organisationseinheiten, die mit der Eignungsbeurteilung beauftragt sind. Dazu gehören beispielsweise die hauseigene Personalabteilung oder externe Recruiter.
- Eignungsdiagnostiker: sind hoch qualifizierte Personen, die den Prozess zur Eignungsbeurteilung mit Anforderungsanalysen, geeigneten Verfahren und Regeln für die Ergebnisauswertung und -interpretation praktisch umsetzen und den Ergebnisbericht erstellen. Außerdem dokumentieren und archivieren sie den gesamten Prozess. Ein verantwortlicher Eignungsdiagnostiker kann gegebenenfalls mit einem Dienstleister gleichgesetzt werden. Er besitzt Weisungsbefugnis und kann auch Aufgaben an Beobachter delegieren.
- Beobachter: wirken mit bei Interviews oder Verhaltensbeobachtungen und -beurteilungen und sind einem Eignungsdiagnostiker hierarchisch unterstellt. Daher stehen sie unter der Fachaufsicht und Verantwortung eines Eignungsdiagnostikers und werden von ihm angeleitet.
Aktuell können drei unterschiedliche Lizenzen für die berufsbezogene Eignungsdiagnostik nach DIN 33430 erworben werden:
- Lizenz E für Eignungsdiagnostiker
- Lizenz BE für Beobachter in direkten mündlichen Befragungen/Interviews
- Lizenz BV für Beobachter in Verhaltensbeobachtungen und -beurteilungen
Die Lizenz E ist dabei die umfassendste Lizenz und enthält automatisch auch die Lizenzen BE und BV.
Wie die Neuerungen der DIN 33430 die Qualifikationen der Anwender betreffen
Um nach DIN 33430 lizenziert zu werden und hochwertige Prozesse der Eignungsbeurteilung garantieren zu können, müssen Eignungsdiagnostiker und Beobachter über ein entsprechendes theoretisches Wissen verfügen. Seit Juli 2016 wurde die Norm unter anderem durch diese vier Aspekte ergänzt:
1. Kulturabhängigkeit beachten: Untypisch bedeutet nicht ungeeignet
Kultur prägt das Verhalten im Arbeitsalltag. Ein gutes Beispiel dafür liefert der Unterschied zwischen Deutschland und Asien: In Deutschland wird von Führungskräften erwartet, auch unangenehme Dinge direkt anzusprechen und rückzumelden, beispielsweise wenn es um nachlassende Arbeitsqualität geht. Asiatische Führungskräfte versuchen, ihre Mitarbeiter vor einem Gesichtsverlust zu bewahren – und bedienen sich anderer Strategien, um das Problem zu lösen.
Kulturspezifisches Verhalten ist damit nicht zwingend ein Ausschlusskriterium für gute Führung.
Wenn Sie nur für die eigene Kultur typische Verhaltensweisen als angemessen betrachten, laufen Sie Gefahr, Antworten oder Verhaltensmuster aus anderen Kulturen abzuwerten, nur weil diese nicht in Ihr Schema passen. Insbesondere für das Recruiting im Ausland sollten Sie beachten, dass Sie die in Ihrer Kultur verankerten relevanten Anforderungen, Fähigkeiten und Eigenschaften gegebenenfalls nicht auf andere Kulturen übertragen können. In diesem Fall müssen die eignungsrelevanten Kriterien im Rahmen einer Anforderungsanalyse neu definiert und angepasst werden, um geeignete Bewerber nicht vorschnell herauszufiltern.
2. Reale Anforderungen von Stereotypen unterscheiden
Um unvoreingenommen beurteilen zu können, sollten Sie als Eignungsdiagnostiker und Beobachter nicht in Stereotypen wie den automatisch zugeordneten Eigenschaften Geschlecht, Alter und Herkunft denken.
Sind Merkmale typisch, erscheinen sie zunächst einmal erfolgversprechend. Aber nicht jedes charakteristisch erscheinende Merkmal hängt mit beruflichem Erfolg zusammen – und das gilt es in der Anforderungsanalyse und bei Ihrer Eignungsbeurteilung zu berücksichtigen. So wie kulturabhängige Ausschlusskriterien für eine differenzierte und faire Eignungsbeurteilung „ungültig“ sein können, gilt dies auch für andere Merkmale: Waren Führungskräfte in der Vergangenheit männlich, 50 Jahre alt und weiß, müssen neue Führungskräfte dies nicht zwangsläufig sein – weil Geschlecht, Alter und Ethnie keine relevanten Kriterien für eine Führungsposition darstellen. Lizenzierte Eignungsdiagnostiker und Beobachter werden darauf sensibilisiert, dass sich Stereotype weder in den Anforderungen und Eignungsmerkmalen widerspiegeln, noch ihre Beurteilung beeinflussen.
3. Selbstdarstellung von Eignungsmerkmalen unterscheiden
Dass sich Kandidaten im Bewerbungsverfahren möglichst gut darstellen wollen, ist verständlich. Dabei können sie Taktiken nutzen, um aktiv ein positives Bild von sich selbst aufzubauen, oder defensive Strategien anwenden, mittels derer sie sich verteidigen und rechtfertigen, um das eigene Image zu bewahren. Eignungsdiagnostiker und Beobachter müssen diese Selbstdarstellung bei der Beobachtung und Beurteilung erkennen können.
Es ist schwer zu unterscheiden, ob eine Verhaltensweise ein Indikator für eine Selbstdarstellung oder für ein Merkmal ist.
Verhält sich ein Bewerber im Rollenspiel beispielsweise zugewandt, kann das einerseits ein Indikator für sein kooperatives Verhalten darstellen, andererseits auch ein Mittel zur Selbstvermarktung sein. Indem Sie anforderungsrelevante Merkmale in unterschiedlichen Situationen und Verfahren abbilden, können Sie leichter erkennen, ob es sich um ein Eignungsmerkmal oder eine Strategie zur Selbstdarstellung handelt.
4. Gruppenprozesse bei der Urteilsbildung reflektieren und Erkenntnisse gewinnen
Für eine Beobachtung – zum Beispiel innerhalb eines Assessment Centers mit Interview und Rollenspiel – sollten Sie im Idealfall mehrere Beobachter einsetzen. Mit einer anschließenden Bewertung durch beispielsweise drei Beobachter senken Sie die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung: Sie können mehr Verhaltensindikatoren und Selbstdarstellungen der Bewerber als solche erkennen und vermeiden Stereotype bei der Eignungsbeurteilung.
Bei der Abstimmung hinsichtlich Ihrer Bewertungen können jedoch Gruppenprozesse wie Konformitätsdruck und Hierarchien trotzdem dazu führen, dass Ergebnisse sich verfälschen. So kann es vorkommen, dass sich ein Beobachter dem wahrgenommenen Konformitätsdruck beugt und seine Bewertungen denen der Referenzgruppe angleicht. Mögliche Gründe hierfür sind geringe Erfahrung und damit einhergehende Unsicherheit im eigenen Urteil oder Unterschiede in der Hierarchieebene der Beobachter (zum Beispiel zwischen Recruiter und Geschäftsführer). Um diesen Gruppenprozessen vorzubeugen, ist es wichtig, dass jeder Beobachter seine Bewertungen selbstständig und unabhängig von den anderen Beobachtern vornimmt und sich mit einem wahrgenommenen Konformitätsdruck reflektiert auseinandersetzen kann.
Zusammenfassung
Die aktualisierte DIN 33430 rückt die am Recruiting-Prozess beteiligten Personen stärker in den Mittelpunkt: Dienstleister, Eignungsdiagnostiker und Beobachter sind noch stärker gefordert, in der Beurteilung von Bewerbern ihr eigenes Verhalten und das der Kandidaten zu reflektieren und stereotypisches Denken in Bezug auf Kultur, Ethnie und Geschlecht aus der Bewertung auszuschließen. Wenn Ihnen dies von Beginn an gelingt – angefangen bei Ihrer Anforderungsanalyse und dem daraus entstehenden Anforderungsprofil, bis hin zur Auswertung, Ergebnisinterpretation und Ihrer finalen Eignungsbeurteilung – kommen Sie der Erfüllung der Kriterien der neuen DIN 33430 für berufsbezogene Eignungsbeurteilungen einen großen Schritt näher. Bei der Zusammenarbeit mit uns sind Sie natürlich auch auf der sicheren Seite, denn alle mit der Entwicklung und Durchführung eignungsdiagnostischer Verfahren betrauten Mitarbeiter haben die DIN-Zertifizierung erfolgreich durchlaufen.
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