Eignungsdiagnostik: Was kann (und darf) ich messen?
Möglichkeiten und Grenzen bei der wissenschaftlich fundierten Personalauswahl
„Man muss messen, was messbar ist, und messbar machen, was noch nicht messbar ist.“ Was Galileo Galilei damals sagte, trifft auch heute noch in der Eignungsdiagnostik zu: Diagnostisch gesehen sollen möglichst viele anforderungsrelevante Eigenschaften gemessen werden, um Risiken in der Personalauswahl zu minimieren. Und prinzipiell kann die Eignungsdiagnostik alles messbar machen. Ihr Ziel darf allerdings nicht sein, den Menschen in der Auswahlsituation gläsern zu machen. Deshalb gibt es Grenzen – in ökonomischer, gesetzlicher und auch ethischer Hinsicht.
Was Eignungsdiagnostiker messen MÜSSEN
Bevor die Eignungsdiagnostik zu aussagekräftigen Ergebnissen kommen kann, müssen in einem Anforderungsprofil die jobrelevanten Merkmale aufgelistet werden. Die DIN 33430 fordert noch vor der eigentlichen Eignungsbeurteilung, genau festzustellen, welche Merkmale, Fähigkeiten und Fertigkeiten relevant sind. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass nur anforderungsrelevante Merkmale gemessen werden und der Auswahlprozess für alle Bewerber gleich ist.
Um beurteilen zu können, ob eine Person für einen speziellen Beruf geeignet ist oder nicht, müssen Personaler wissen, was wirklich berufsrelevant ist.
Aus sachlicher und ethischer Perspektive messen Personaler sinnvollerweise nur das, was bedeutsam für die offene Stelle ist. Alles andere verwässert die Diagnostik, klärt aber nicht das eigentliche Erkenntnisinteresse.
Was Eignungsdiagnostiker messen KÖNNEN – und was nicht
Einerseits sollen Eignungsdiagnostiker nicht zu viel messen. Andererseits stellt sich die Frage, was sie von dem, was berufsrelevant ist, überhaupt messen können? Die Antwort: Nahezu alles. Denn die moderne Eignungsdiagnostik hat Instrumente entwickelt, um beinahe jede Kompetenz zu erfassen, die berufsrelevant sein kann.
Multimodale Diagnostik: befragen, testen, beobachten, simulieren
Die Multimodale Diagnostik kann die Passung auf eine offene Stelle über mehrere Zugänge ermitteln: Dafür befragen Eignungsdiagnostiker die Kandidaten zu ihrer Berufsbiografie, testen Persönlichkeitseigenschaften und kognitive Fähigkeiten in angemessenen Verfahren und lassen berufsrelevantes Verhalten in Rollenspielen simulieren oder beobachten es in Präsentationsaufgaben und weiteren Verfahren des Einzel Assessments. Durch diese unterschiedlichen Zugänge zeichnet die Multimodale Diagnostik ein nahezu lückenloses Bild über das Eignungsprofil der Kandidaten. Sie trägt zu 50 Prozent bei der Varianzaufklärung bei. Das mag sich anhören, als würden Personaler eine Münze werfen. Aber das Arbeitsumfeld, die Unternehmenskultur und äußere Rahmenbedingungen bis hin zum Chef und dem weiteren Team beeinflussen die restlichen 50 Prozent. Diese äußeren Faktoren können Eignungsdiagnostiker nicht erfassen, die Diagnostik fokussiert nur auf die persönlichen Erfolgsvoraussetzungen der Kandidaten.
Eignungsdiagnostik sollte nicht 100 Prozent der Persönlichkeit einer Person erfassen
Nicht alles, was einen Menschen ausmacht, ist für den Berufserfolg bedeutend. Und jedes zusätzliche Testverfahren kostet Geld und die Zeit der Bewerber. Wenn es nicht zusätzlich Varianz aufklärt, ob Kandidaten für den Job geeignet sind, ist ihr Einsatz daher unökonomisch und auch nicht gerechtfertigt. Ob Bewerber sich über die gestellten Anforderungen hinaus noch in der Politik engagieren oder Fallschirmspringen, sollte in den meisten Fällen unwichtig sein – und dementsprechend nicht erfasst werden.
In einem eignungsdiagnostischen Kontext geht es nicht darum, den Menschen komplett gläsern zu machen – und darum darf es auch nicht gehen.
Personaler müssen der Versuchung widerstehen, mehr Dinge zu erfassen als notwendig. Berufsbezogene Tests können in der diagnostisch relevanten Zeit kein allumfassendes Persönlichkeitsbild der Bewerber zeichnen – und Verfahren mit klinischem Hintergrund sind für die Eignungsdiagnostik tabu. Auch Assessment Center sollten nicht länger als einen halben Tag dauern: sie wären ökonomisch untragbar und belastend für Bewerber und erheben zu viel unrelevante Informationen.
Was Eignungsdiagnostiker messen DÜRFEN – und was nicht
Gesetzliche Vorschriften in der Eignungsdiagnostik
Fragen zu Lebenspräferenzen, die in keiner Verbindung mit dem Beruf stehen, haben in der Eignungsdiagnostik nichts zu suchen. Insbesondere betrifft das die sexuelle und religiöse Orientierung. Aber auch Fragen zum Privatleben der Person, beispielsweise der Beziehungsstatus oder die Anzahl der Freunde, spielt für die eignungsdiagnostische Vorhersage für Berufserfolg keine Rolle – tatsächlich begegnen Bewerber diesen Fragen. „Sind Sie schwul?“ oder „Sind Sie schwanger?“ – diese Fragen sind nur zwei Beispiele dafür, was in der Personalauswahl kein Thema sein darf. Sie sind gesetzlich verboten, moralisch fragwürdig und liefern keinen Bezug zum späteren Beruf.
Grauzonen in der Eignungsdiagnostik
Es gibt aber auch Fragen und Situationen in der Personalauswahl, die nicht so eindeutig untersagt sind. Die Frage „Welche Tageszeitung lesen Sie?“ scheint auf den ersten Blick harmlos. Was Bewerbern häufig nicht klar ist: Durch ihre Antworten geben sie Aufschluss darüber, ob sie Medien in strukturierter Form nutzen oder womöglich auf flüchtige Online-News zurückgreifen. Und sie offenbaren im selben Schritt gegebenenfalls politische Tendenzen – je nach dem, ob sie beispielsweise die Süddeutsche, FAZ oder taz nennen. In den meisten Fällen ist das aber irrelevant für den Beruf. Es gibt auch Dinge, die Eignungsdiagnostiker unbeabsichtigt, sozusagen als „Beifang“, von Kandidaten erfahren. Auch hier stehen Personaler vor der Frage, wie und ob sie diese Information nutzen sollen. Beispielsweise kann ein Kandidat sagen, der zu spät zum Assessment Center kommt, er finde sich in fremden Städten, also mit unbekannten Situationen, immer schlecht zurecht. Das ist eine allgemeine Aussage über die Person, die möglicherweise wichtig für den zukünftigen Arbeitgeber sein könnte. Oder ein Bewerber riecht im Interview nach Alkohol. Vielleicht hat der Personaler das Aftershave des Kandidaten mit Alkohol verwechselt? Als externer Personaler ist es seine Aufgabe, die berufliche Eignung festzustellen, nicht aber Menschen zum Beispiel aufgrund ihres Aussehens, eigener Sympathie oder ihrer Interessen zu bewerten. Der professionelle Umgang mit „Beifang“-Informationen ist deshalb schwierig und erfordert hohe persönliche Dignität und eine solide Ausbildung.
Das Bauchgefühl des Diagnostikers ist unwesentlich – und entspricht keiner wissenschaftlichen Eignungsdiagnostik.
Die meisten Bewerber erleben eine Interviewsituation, die ihnen zu einem vielversprechenden Job verhelfen könnte, als anstrengend. Setzen Eignungsdiagnostiker die Bewerber in einem sogenannten „Stressinterview“ aktiv unter Stress, ist das in den meisten Fällen unzumutbar und belastend – es sei denn, es geht um eine Stelle, bei der es auf extreme Situationen ankommt. Aber selbst die Personalauswahl von Polizisten oder Feuerwehrmännern sieht solche konstruierten Stresssituationen nicht vor, weil sie diagnostisch fragwürdig sind: Denn deren Arbeitsalltag besteht auch nicht ausschließlich aus Extremsituationen – vielmehr interessiert das typische Verhalten der Person in beruflichen Alltagssituationen.
Galileo Galilei hätte auch sagen können: „Man muss messen, was wirklich relevant ist.“ Die wissenschaftlich fundierte Eignungsdiagnostik kann nahezu alle Merkmale, Fähigkeiten und Fertigkeiten von Kandidaten standardisiert und objektiv erfassen, aber nicht alles ist wichtig, um berufliche Eignung festzustellen. Dann stößt Eignungsdiagnostik an ihre Grenzen: Wenn sie ökonomisch und ethisch nicht vertretbar ist, weil sie mehr erfassen will als nötig, Kandidaten gläsern macht und subjektiv wird.
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