Unternehmen, die international tätig sind und im Ausland Personal suchen, müssen sich über landesspezifische Unterschiede im Klaren sein. Die Verhältnisse in einem Land beeinflussen sowohl die Eignungsdiagnostik als auch den gesamten Recruitingprozess. Wir fassen die fünf wichtigsten Aspekte für internationale Personalauswahl zusammen.
1. Kultur bedingt die Verfahren und Assessments
Welche Eignungsdiagnostik bei internationalen Recruitingprozessen funktioniert und welche nicht, hängt maßgeblich von den kulturellen Faktoren des jeweiligen Landes ab. Ein Beispiel: In China sind Gruppen-Assessment-Center wenig zielführend, denn dort ist es unüblich und unhöflich, einer Person öffentlich zu widersprechen. Eine Gruppendiskussion käme aufgrund dieser kulturellen Besonderheit eventuell gar nicht in der Form zustande, wie es in westlichen Kreisen erwartet würde. Dass Gruppenassessments in China nicht funktionieren, sagt aber nichts über andere asiatische Länder aus – in Indonesien zum Beispiel werden Gruppenassessments auch mit Gruppendiskussionen eingesetzt. In anderen Ländern sagt man in einem Gespräch nicht „Nein“, sondern stimmt dem Gegenüber zu, argumentiert jedoch „um den Sachverhalt herum“, um eine weitere Perspektive oder Meinung zum Thema zu eröffnen. Welcher Kandidat sich in der Gruppe nun am besten durchsetzt, kann mit dem Assessment Center in diesem Fall nicht verlässlich erhoben werden. Es sind deshalb die feinen kulturellen Unterschiede, die über die Auswahl der richtigen Testverfahren und Assessments für die Personalauswahl entscheiden.
Welche Eignungsdiagnostik die richtige ist, muss landesspezifisch beantwortet werden – manchmal sogar regionalspezifisch.
2. Unterschiedliche Bildungsniveaus machen Vergleiche schwierig
Wer im Ausland einen neuen Produktionsstandort besetzen muss, erwartet von den Kandidaten dieselben Qualifikationen wie von „heimischen“ Mitarbeitern – schließlich muss im ausländischen Werk auch dieselbe Produktqualität gewährleistet sein. Fakt ist aber: Ein einheitliches, weltweit vergleichbares Qualifikations- und Bildungssystem gibt es nicht. Das gilt sowohl für Allgemeinbildung aber auch für Berufsbildungsabschlüsse. In Deutschland unterscheiden sich die formalen Qualifikationen der allgemeinen Schulabschlüsse aufgrund der jeweiligen Landeshoheit stark voneinander – Schulabgänger sind damit nur teilweise vergleichbar. Was innerhalb Deutschlands schon zu einigen Unsicherheiten in der Beurteilung und im Vergleich von Bewerbern führen kann, gilt international umso mehr und erst recht, wenn es nicht mehr um Schüler und Auszubildende, sondern um Facharbeiter geht. Denn diesbezüglich sind die internationalen Unterschiede in einzelnen Ländern und über Grenzen und Kulturen hinweg noch viel größer als innerhalb des hochreglementierten deutschen Schul- und Berufsbildungssystems. Die Frage nach einem funktionierenden Bildungssystem im jeweiligen Land ist deshalb zentral, um bereits im Vorfeld Rückschlüsse zu ziehen, die für die Diagnostik relevant sind:
Je weniger sich Recruiter auf formale Bildungskriterien im jeweiligen Land verlassen können, desto intensiver muss die Diagnostik sein.
Dann ist es sinnvoll, über spezielle Methoden alle Talente und Fähigkeiten der Bewerber unabhängig von einem konkreten Job zu erfassen, um so herauszufinden, welche Position am besten zum jeweiligen Kandidaten passt.
3. Rechtliche Rahmenbedingungen bestimmen die Diagnostik
Was und wie Sie im Ausland diagnostizieren können und dürfen, definiert die jeweilige Gesetzeslage eines Landes – Sie müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen also kennen, bevor Sie im Ausland Diagnostik betreiben. Wenn Sie den Prozess planen, müssen Sie sich also mit den folgenden Fragen auseinandersetzen:
- Welche Datenschutzbestimmungen gelten im Land?
- Gibt es lokale Vorschriften zum Thema Anti-Diskriminierung?
- Welche Auswahlmethoden sind in einem Land überhaupt zulässig, was ist verboten?
Die datenschutzrechtlichen Bestimmungen haben direkten Einfluss auf die Diagnostik, denn sie legen fest, welche Fragen in einem Personalfragebogen sowie in Testverfahren überhaupt gestellt und gespeichert werden dürfen. Innerhalb Europas haben wir es in Deutschland mit einigen der strengsten Vorschriften zum Datenschutz zu tun. In anderen Ländern wie den USA ist das anders: Dort dürfen Recruiter unter bestimmten Bedingungen beispielsweise im Sinne eines Background-Checks das gesamte Vorstrafenregister und auch die Kreditbelastungen eines Bewerbers einsehen, um es als Entscheidungsgrundlage für eine Einstellung zu nutzen.
Auch aus diagnostischer Perspektive gibt es landesspezifische Unterschiede: In einigen Ländern kommt es beispielsweise weniger auf die psychometrische Validität eines Testverfahrens an, als vielmehr darauf, dass die im Test gestellten Fragen oder Arbeitsproben einen direkten Tätigkeitsbezug aufweisen – ein Testverfahren für Logistikberufe dürfte entsprechend nur Fragen zur konkreten Tätigkeit in der Logistik enthalten, statt weitere psychologische Merkmale abstrakt abzufragen. In Deutschland hingegen ist ein valides Testverfahren oberste Prämisse, dessen Ergebnisse die zukünftige, generelle Perfomance von Bewerbern in einem Job verlässlich voraussagen kann.
4. Sprache fordert flexible Testverfahren
Dass Testverfahren und Assessments in die jeweilige Sprache eines Landes übersetzt werden müssen, um die Verständlichkeit zu gewährleisten, ist offensichtlich. In vielen Fällen ist jedoch auch Mehrsprachigkeit ein maßgeblicher Faktor, und dafür muss man sich gar nicht weit von Deutschland wegbegeben: Wer in der Schweiz rekrutieren möchte, muss die Testverfahren und weitere Diagnostik auf Deutsch, Italienisch, Französisch und Englisch anbieten. In Nigeria wird es noch vielfältiger: Dort sprechen rund 175 Millionen Einwohner 519 offizielle Sprachen. Nigeria ist nach den USA und Indien das drittgrößte Land mit der Amtssprache Englisch. Ein Testverfahren nun in 519 Sprachen anzubieten, grenzt ans Unmögliche – umso mehr muss den Recruitern bewusst sein, dass viele Bewerber den Test nicht in ihrer jeweiligen Muttersprache bearbeiten werden. Dies hat wiederum Einfluss auf die Bearbeitung der Tests und ist ein zentraler Aspekt, den Recruiter bei der Auswertung und Interpretation der Ergebnisse berücksichtigen müssen, wenn sie Bewerber miteinander vergleichen.
Sprache beeinflusst außerdem die Diagnostik selbst: Ein Test kann in viele Sprachen nach allen wissenschaftlichen Standards übersetzt werden – aber was passiert beispielsweise mit Interviewverfahren? Wie funktioniert das Lese- und Antwortverhalten im jeweiligen Land? Lesen die Menschen dort von links nach rechts oder andersherum? Was bedeutet das für die Darstellung von Testverfahren?
Die sprachliche Anpassung der Diagnostik ist ein aufwändiger Prozess, denn er erfordert nicht einfach eine literarische 1-zu-1-Übersetzung, sondern Hin- und Rückübersetzungsprozesse durch jeweilige Muttersprachler, Experten und Psychologen.
Gleichzeitig muss IT-seitig sichergestellt sein, dass ein Testverfahren mit nur einem Klick in der ausgewählten Sprache verfügbar ist. Für arabische Sprachen bedeutet das unter anderem, dass eine Antwortskala von 1 bis 5, die die Zustimmung der Kandidaten zu einer Aussage messen soll (0=keine Zustimmung, 5=volle Zustimmung), spiegelverkehrt dargestellt sein muss – angepasst an die durch Sprache und Kultur definierte Leserichtung der Bewerber von rechts nach links.
5. HR-Compliance sichert einen objektiven Auswahlprozess
Unter HR-Compliance versteht man das regelkonforme Verhalten einer Organisation bei der Personalauswahl, das sowohl im Inland als auch bei Rekrutierung im Ausland gilt. Das bedeutet: Jeder internationale Personalauswahlprozess muss den Compliance-Anforderungen genügen, die auch im Heimatland definiert sind. Darunter fallen Aspekte wie Fairness, Objektivität und Legalität für den gesamten Auswahlprozess.
In einigen Ländern und Regionen werden Unternehmens- und Personalverantwortliche mit Situationen konfrontiert, die lokal wirken, beispielsweise wenn von außen Druck auf Recruiter ausgeübt wird, um Personalentscheidungen zu beeinflussen – sei es durch staatliche Stellen, kriminelle Organisationen oder die Bewerber selbst. Durch standardisierte Testverfahren, Software und Prozesse können Unternehmen solche externen Einflüsse vermeiden und sicherstellen, dass einerseits die am besten passenden Bewerber eingestellt werden und andererseits der gesamte Prozess fair, objektiv und im Sinne der HR-Compliance abläuft.
Internationales Recruiting ist anspruchsvoll. HR-Verantwortliche müssen sich mit Fragen auseinandersetzen, die jedes Land auf rechtlicher und kultureller Ebene aufwirft. Nur wer diese Fragen und auch ihre Antworten kennt und berücksichtigt, kann einen erfolgreichen Recruitingprozess integrieren – mit Testverfahren und Assessments, die wir rechts- und kulturkonform auf das jeweilige Land anpassen.
Lassen Sie uns reden
Rufen Sie uns an:
+49 (711) 48 60 20 10Schreiben Sie uns:
Info@HR-Diagnostics.de