Alternativ kann die Bearbeitungsgeschwindigkeit auch auditiv erfasst werden. Der Wechsel auf einen anderen Sinneskanal ist aber nur dann sinnvoll, wenn auch die spezifische Anforderung am späteren Arbeitsplatz mit geringem Aufwand verändert werden kann. Das ist nicht immer der Fall. Erschwerend kommt hinzu, dass Testergebnisse mit dem (im Beispiel visuellen) Standardverfahren in einem solchen Fall nicht mehr vergleichbar sind. Es ist zwar häufig möglich, eine alternative Testlogik zu etablieren. Dann muss aber im Vorfeld geprüft werden, ob das Ergebnis den eigentlichen Testzweck weiterhin erfüllt. Wenn mit der Alternative keine stichhaltige Vorhersage über arbeitsrelevante Anforderungen, wie beispielsweise die Auge-Hand-Koordination, geleistet werden kann, ist der Test selbst dann nicht zweckmäßig, wenn die Reaktionsgeschwindigkeit valide und reliabel über das Hören erfasst werden konnte.
Wenn alternative Voraussetzungen ausreichen und sich die gestellten Anforderungen modifizieren lassen, dann ist es empfehlenswert, die Testlogik entsprechend anzupassen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn eine vollständige Vergleichbarkeit der Ergebnisse entbehrlich ist und Personalverantwortliche lediglich prüfen müssen, ob jemand einen gewissen Schwellenwert erreicht, wie zum Beispiel eine Reaktionszeit unter einer Sekunde.

 

Die Barrierefreiheit von Online-Tests muss die tatsächlichen Anforderungen des Berufs berücksichtigen

Bevor Überlegungen in eine spezifische barrierefreie Testkonstruktion fließen, müssen Unternehmen sich die Frage stellen, welche Anforderungen die jeweilige Vakanz verlangt und welche Beeinträchtigungen in diesem Beruf überhaupt kompensierbar sind. Denn es hilft nicht, die Barrieren eines Online-Tests zu reduzieren, damit alle Bewerber ihn problemlos bearbeiten können, obwohl der zukünftige Job genau diese Merkmale verlangt.

An dieser Stelle müssen Recruiter genau darauf achten, wozu ein Kandidat in der Lage sein muss, um beruflichen Erfolg zu haben. Eine gründliche Anforderungsanalyse und die Frage nach Möglichkeiten der Barrierefreiheit am zukünftigen Arbeitsplatz entscheiden darüber, welche Beeinträchtigungen berücksichtigt werden können und welche nicht.

Die Testkonstruktion muss individuell nach Bedarf konzipiert werden

Ein barrierefreier Recruitingprozess startet bereits bei der Stellenausschreibung eines Unternehmens auf seinen eigenen Kanälen. Diese müssen so konzipiert sein, dass Menschen mit Beeinträchtigungen dieselben Chancen genießen wie alle anderen. Der Personalfragebogen, der den ersten Schritt für den Auswahlprozess darstellt, muss direkt erheben, ob ein Kandidat eine Beeinträchtigung hat, die es ihm nicht ermöglicht, einen Online-Test durchzuführen. Darauf aufbauend werden dann Verfahren für den Auswahlprozess zusammengestellt, die diese Beeinträchtigungen berücksichtigen. Der individuelle Prozess beginnt hier. Wenn Unternehmen ihn in Eigenregie durchführen, ist eine enge Abstimmung mit den einzelnen Bewerbern erforderlich, um auf die individuellen Anforderungen einzugehen. Grundsätzlich kann man von vier verschiedenen Kategorien einer Beeinträchtigung sprechen, die die Konstruktion eines Online-Tests für die Personalauswahl bedingen:
 

  1. Eine ausschließlich körperliche Einschränkung, welche die Testbearbeitung nicht beeinflusst: Diese Kandidaten sind in der Lage, einen Online-Test ohne Modifikationen durchzuführen. Ihre Einschränkung bezieht sich nicht auf die Testdurchführung selbst, sondern lediglich auf Begleiterscheinungen, zum Beispiel die Zugangsmöglichkeit für Rollstuhlfahrer zum Testort. 
     
  2. Einschränkung, Stufe 1: Diese Bewerber sind in der Lage, einen PC ohne oder mit technischen Hilfsmitteln zu bedienen. Ihre Einschränkung ist nicht absolut, sondern relativ und führt zu einer langsameren Bearbeitungszeit des Online-Tests. Beispiele für solche Einschränkungen sind Lernschwächen, ADHS, Autismus, Seh-, Hör- oder Sprachstörungen.
     
  3. Einschränkung, Stufe 2: Die Bewerber können den PC ohne oder mit technischen Hilfsmitteln bedienen – ihre Einschränkung ist allerdings derart, dass keine zeitbegrenzten Leistungstests, selbst mit erweiterter Zeit, durchgeführt werden können. Ein Beispiel für diese Einschränkungen wäre Blindheit. Entsprechend führen jene Kandidaten einen Test ohne Zeitbegrenzung oder gegebenenfalls ohne Leistungsbestandteile durch.
     
  4. Eine sehr starke Einschränkung: Diese Kandidaten sind nicht in der Lage, Zugang zum PC zu erlangen oder mit vertretbarem Aufwand Information vom Bildschirm aufzunehmen oder in den PC einzugeben. An dieser Stelle ist ein Test nicht empfehlenswert.

  

Barrierefreie Online-Tests sind nicht alltäglich, denn sie fallen aus einem klassischen Regelprozess der Personalauswahl heraus – je nach Anforderungsbezug und der individuellen Beeinträchtigung von Bewerbern modifizieren wir Testverfahren oder entwickeln sie spezifisch im Sinne der Barrierefreiheit. Testelemente, die durch eine Veränderung nicht mehr den wissenschaftlichen Gütekriterien oder den arbeitsrelevanten Anforderungen entsprechen würden, können kompensiert werden, beispielsweise durch nachgeschaltete Testauswahlstufen wie persönliche Interviews. In jedem Fall ist eine intensive Auseinandersetzung mit dem Anspruch des eigenen Unternehmens und dessen Wünschen sowie vor dem eigentlichen Auswahlprozess mit den Bewerbern notwendig: Nur, wenn Sie Ihren eigenen Anspruch, den der offenen Stelle und den Ihrer beeinträchtigten Bewerber kennen, können Sie barrierefreie Testverfahren einsetzen, die die Personalauswahl valide, reliabel und FAIR machen. Wir helfen Ihnen dabei.


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